Können Sie mit der Arbeitsverdichtung in der digitalen Arbeitswelt gut umgehen?

VERÖFFENTLICHT December 17, 2021 UP

Die Möglichkeiten der technischen Zusammenarbeit sind in den vergangenen Jahren dramatisch angestiegen. Die Segnungen der Digitalisierung bringen jedoch für die Beschäftigten neue Herausforderungen mit sich. Digitalisierung bedeutet in der Folge nämlich u.a. Arbeitsverdichtung und ständige Verfügbarkeit. Ein nicht enden wollender Strom von E-Mails kommt im Posteingang an, bringt neue Anforderungen mit, lenkt von der gerade ausgeführten Arbeit ab und bindet Aufmerksamkeit. Viele Beschäftigte geben dem nach und verfallen in hektische Versuche, der Flut mit Multitasking zu begegnen. 

Foto by Rene Bohmer on uns-lash.com

Was sagt die Forschung zu Multitasking? 

Multitasking bedeutet nicht, eine Ladung Wäsche in die Maschine zu füllen, während Sie mit einem Freund telefonieren. Das wird wahrscheinlich problemfrei funktionieren. Telefonieren Sie hingegen, während Sie mit dem Rennrad von 45 Stundenkilometern bergab fahren, kann ein durch das Telefonat verursachter Aufmerksamkeitsverlust von einer halben Sekunde zwischen Leben und Tod entscheiden. 

Multitasking bedeutet, zwei oder merhere Aufgabe überlapptend zu erledigen, die nicht automatisiert ablaufen. Die Aufgaben müssen voneinander unabhängige Ziele verfolgen. 

Psychologen, die sich damit beschäftigen, was mit der Kognition (Gesamtheit aller Prozesse, die mit dem Wahrnehmen und Erkennen zusammenhängen) passiert, wenn Menschen versuchen, mehr als eine Aufgabe auf einmal auszuführen, haben in Aufgabenwechsel-Experimenten[1] (task-switching experiments) herausgefunden, dass der Verstand und das Gehirn nicht für Hochleistungs-Multitasking ausgelegt sind. Diese Experimente zeigten, 

  • dass junge Erwachsene, die zwischen verschiedenen Aufgaben, wechseln mussten, bei allen Aufgaben Zeit verloren, wenn sie von einer Aufgabe zur anderen wechseln mussten.
  • Je komplexer die Aufgabe, desto höher der Zeitverlust. Das gleiche galt, als die Teilnehmer zu relativ unbekannten Aufgaben wechselten.
  • dass selbst wenn die Leute alle zwei oder vier Versuche völlig vorhersehbar zwischen zwei Aufgaben wechseln mussten, sie immer noch langsamer waren als bei Wiederholungen gleicher Aufgaben.
  • Obwohl die Switch-Kosten relativ gering sind, manchmal nur wenige Zehntelsekunden pro Switch, können sie sich zu großen Summen summieren, wenn Menschen immer wieder zwischen Aufgaben hin und her wechseln. So kann Multitasking an der Oberfläche zwar effizient erscheinen, am Ende aber mehr Zeit in Anspruch nehmen und mehr Fehler verursachen. Meyer hat gesagt, dass selbst kurze mentale Blockaden, die durch das Verschieben von Aufgaben entstehen, bis zu 40 Prozent der produktiven Zeit eines Menschen kosten können.[2]

Multitasking und Arbeitsunterbrechungen 

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ist der Frage, welche Folgen Arbeitsunterbrechungen und Multitasking in informationsintensiven Berufen innerhalb eines Forschungsprojekts nachgegangen. Es wurde gemeinsam mit Wissenschaftlern des Instituts für Psychologie, Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Leipzig durchgeführt. Im Rahmen des Projekts ist ein Forschungsbericht erschienen, der zu folgenden Ergebnissen kam: 

  • Arbeitsunterbrechungen und Multitasking stellen eine zusätzliche Anforderung an den Menschen dar, Sie gehen mit einem erhöhten Regulationsaufwand einher und können zum Vergessen ursprünglicher Absichten fuhren.
  • Nur bei einfachen, monotonen Aufgaben können Arbeitsunterbrechungen dazu fuhren, dass die Leistungen besser werden, da eine zu einfache monotone Aufgabe dadurch ein für den Einzelnen angenehmes Anforderungsniveau erreicht,
  • Unterbrechungen sind besonders dann von Nachteil, wenn sie die Bearbeitung einer Aufgabe in der Phase ihres höchsten Workloads stören.
  • Unterbrechungen haben die wenigsten Nachteile, die zwischen zwei Teilaufgaben auftreten.
  • Eine geschickte Nutzung des Unterbrechungs-Verzögerung kann negative Konsequenzen von Unterbrechungen minimieren.
  • Menschen sind nur bedingt fähig, Aufgaben tatsächlich gleichzeitig auszuführen. Möglich ist dies nur, wenn die Aufgaben hoch automatisiert sind und die zentrale Exekutive umgangen werden kann.
  • Mit zunehmenden Alter verschlechtert sich die Fähigkeit, mit Multitasking und Arbeitsunterbrechungen umzugehen, dieses Defizit kann jedoch durch Erfahrung und die Verwendung von Hilfsmitteln ausgeglichen werden.
  • Handlungsspielraum, soziale Unterstützung, kognitive Fähigkeiten und Resilienz-Faktoren, wie Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugung sind Ressourcen im Umgang mit Arbeitsunterbrechungen und Multitasking.
  • Arbeitsunterbrechungen können zu Kompensationsstrategien führen, die die Qualität der Arbeit senken.
  • Arbeitsunterbrechungen und Multitasking können die Stimmung beeinträchtigen und zu Irritation und zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.
  • Organisationale Rahmenbedingungen, Merkmale der Arbeitstätigkeit, Merkmale der Primär- und Störaufgabe, Personale Faktoren und Charakteristika der Unterbrechung haben einen Einfluss auf die Wirkung von Arbeitsunterbrechungen auf das Stresserleben.[3]

Zusammenfassung und Empfehlungen 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Arbeitsunterbrechungen und Multitaskingsituationen auf alle Altersgruppen gesundheitlich beanspruchend und einen negativen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit haben. So wurde z.B. gezeigt, dass bei einer nur drei Hinwendung zu einer neuen Aufgabe, bereits zwei Minuten erforderlich sind, um bei der vorherigen Aufgabe wieder auf dem Stand zu sein, bei dem die vorherige Aufgabe unterbrochen wurde. Bei häufigen Unterbrechungen addiert sich dieser Effekt. In einer Studie der Universität Michigan wurde gezeigt, dass das menschliche Gehirn um 20 bis 40 Prozent weniger leistungsfähig ist, wenn parallel statt nacheinander gearbeitet wird.[4] 

Seitens der Forschung werden u.a. folgende Empfehlungen gegeben: 

  • Beschäftigte sollten vermeiden, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen.
  • Für den Einzelnen ist wichtig, sich zu verdeutlichen, dass nicht bei jeder Unterbrechung alles stehen und liegen gelassen werden muss, sondern dass man sich der Handlungsoptionenbewusst wird und vorhandene Freiheitsgrade nutzt.
  • Wer in einem Setting arbeitet, wo Störungen nicht vermieden werden können, sollte sich zumindest im machbaren Rahmen Zeitfenster einrichten, in denen es sich ungestört arbeiten lässt.
  • In vielen Situationen ist es möglich, die aktuelle Aufgabe zumindest noch bis zu einem Punkt fortzuführen, die einen späteren Wiedereinstieg erleichtert.
  • Es sollte gezielt die Möglichkeit genutzt werden, Aufgaben auch an andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzugeben. Dies funktioniert in einem Team dann am besten, wenn alle dazu bereit sind, sich gegenseitig zu unterstützen
  • Zudem sollten die Beschäftigten versuchen, ihre Arbeit in Ruhe angehen und sich an persönlichen Erfahrungen orientieren. Dabei ist es wichtig, dass Beschäftigte nach Möglichkeit selbst entscheiden können, welche Aufgabe Vorrang hat.
  • Ein weiterer Grund für Unterbrechungen können unvollständige oder missverständliche Absprachen in Teamrunden oder zwischen Beschäftigten und Führungskräften sein. Erfahrungen haben gezeigt, dass oft schon einfache Absprachen im Team oder Kollegenkreis zu einer Reduktion unnötiger Unterbrechungen beitragen können, denn in vielen Fällen ist der unterbrechenden Person gar nicht bewusst, dass sie in einer bestimmten Situation ein Störfaktor sein kann.
  • Des Weiteren kann in einem Team darauf geachtet werden, dass es für bestimmte (komplexe) Tätigkeiten unterbrechungsfreie Zeiten und Räume gibt.

Allgemeine Tipps für die Arbeit mit digitalen Medien: 

  • Schalten sie die automatisierte Information über den Eingang von Emails aus
  • Senden sie nur notwendige Emails, um unwichtige Antworten zu vermeiden
  • Bearbeiten Sie Ihre E-Mails im Block zu bestimmten Zeiten des Tages, an denen Sie nicht ihr höchstes Energieniveau haben
  • Öffnen Sie die Posteingang Ihres Email-Clients nur einige Mal am Tag
  • Bestellen Sie alle Newsletter ab, die nicht wirklich wichtig sind
  • Erstellen Sie Regeln in Ihrem Email-Client zur Weiterleitung von Mails mit bestimmten Adressaten oder Inhalten in bestimmte Zielordner
  • Schaffen Sie sich Zeitzonen, in denen sie nicht erreichbar sind und konzentriert arbeiten können zu den Zeiten des Tages, an denen Sie ihr höchstes Energieniveau haben
  • Versuchen Sie mindestens 15-20 Minuten konzentriert an einer Aufgabe zu bleiben
  • Bringen Sie, wenn es geht, erst eine Teilaufgabe zu Ende
  • Bevor Sie bei einer Unterbrechung mit Ihrer aktuellen Aufgabe aufhören, machen Sie sich eine aussagekräftige Notiz darüber, wo Sie stehengeblieben sind.

Quellen: 

[1]Siehe: https://portal.hogrefe.com/dorsch/aufgabenwechsel/Zugriff: 11.07.2018 

[2]Vgl. American Psychological Association, Ed., 2006. Multitasking: Switching costs [online].Verfügbar unter: www.apa.org/research/action/multitask.aspx, Zugriff: 13.07.2018 

[3]Vgl. Anja Baethge, Dr. Thomas Rigotti, Arbeitsunterbrechungen und Multitasking. Ein umfassender Überblick zu Theorien und Empirie unter besonderer Berücksichtigung von Altersdifferenzen, Herausgeber Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund, 2010 

[4]Vgl. Arbeitsunterbrechungen und Multitasking täglich meistern, Herausgeber Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Dortmund, 1. Auflage, April 2018, S. 11 

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