Sind Freundschaften am Arbeitsplatz sinnvoll?

rawpixel-com-558597-unsplash (Kopie)
Foto by Raw Pixel on unsplash.com

Gelten für private und berufliche Beziehungen die gleichen Gesetze? Können wir uns in beruflichen Beziehungen so verhalten, wie wir es in privaten Beziehungen tun? Benötigen wir berufliche Beziehungen, so wie wir Beziehungen im Privatleben benötigen? Schon diese Fragen lassen ahnen, dass es da Unterschiede gibt. Der Unterschied wird erzeugt durch das soziale System, in dem Beziehungen stattfinden.

Gelingende Partnerschaften sind auf individueller Ebene vor allem deshalb wichtig, weil sie die psychologischen Grundbedürfnisse nach Bindung, Schutz und Sicherheit befriedigen. In Organisationen sind sie wichtig, weil man gemeinsam weit mehr erreichen kann als allein. Eine gute Beziehung wird auf Augenhöhe geführt. Dies kann nur gelingen, wenn grundsätzlich ein ausgewogenes Austauschverhältnis von Geben und Nehmen besteht. Beziehungen benötigen darüber hinaus Struktur und Regeln, damit nicht jeder Interaktionsvorgang neu ausgehandelt werden muss. Diese Reduktion von Komplexität ist ebenso wichtig, wie Freiheit, Autonomie und gegenseitige Toleranz.

Gute Beziehungen sind ein ausgewogenes Austauschverhältnis

 

Damit eine Beziehung gelingt, reicht es also nicht aus, die eigenen bewussten oder unbewussten Bedürfnisse zu befriedigen, sondern es geht um ausgewogenes Austauschverhältnis, es geht um Freude sowie um Sicherheit, Vertrauen und Entwicklungsmöglichkeiten, Wer z.B. nur gibt und nicht nimmt, gefährdet eine Beziehung ebenso, wie derjenige der nur nimmt und nicht gibt.

Aus systemischer Sicht sind die folgenden 5 Faktoren wichtig, um eine Beziehung stabil und lebendig zu halten:

Säule Bedeutung
Zusammenhalt und Sicherheit Sich gegenseitig Wärme, Nähe, Schutz geben
Ausgleich Geben und Nehmen wechseln einander ab
Regeln Orientierung, Ordnung und Struktur
Freiheit Niemand ist Niemandes Besitz, Entwicklung, Autonomie
Toleranz Akzeptanz des Andersseins, Recht auf Geheimnisse und Besonderheiten

Berufliche Beziehungen

Berufliche Beziehungen finden meist in Organisationen statt. Organisationen sind soziale Systeme mit besonderen Verhaltensregeln und spezifischen Erwartungen an ihre Mitglieder. Bereits Kindern wird im Kindergarten und in der Schule schnell klar, wo der Unterschied zwischen der Situation in der Familie und in einer Organisation besteht:

„Man kann sich hier nicht mehr darauf verlassen, dass man – wie im Elternhaus – als etwas ganz Besonderes behandelt und unabhängig von Leistungen geliebt wird, vielmehr muss man lernen, dass man unter sehr spezifischen Gesichtspunkten betrachtet und permanent mit anderen verglichen wird.“[1]

In Organisationen nimmt man zwar zunächst Personen wahr, etwa die Lehrerin, den Ausbildungsmeister, den Professor oder später den Teamleiter oder den Personalchef. Schon bald aber wird klar, dass diese Menschen in einer Organisation eine besondere Rolle spielen: sie zeigen sich nicht als „ganzer Mensch“ sondern als Funktionsinhaber einer Organisation, deren Erwartungshaltung sie unmißverständlich zum Ausdruck bringen.

Ein bisschen Systemtheorie

Organisationen bestehen aus systemtheoretischer Sicht nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen, die in Form von Handlungen und Prozessen sichtbar und überprüfbar werden.[2] Das hört sich zunächst widersinnig an, denn in Organisationen gibt es doch Menschen. Aber diese sind quasi vorausgesetzt und sind in einer Organisation, anders als in privaten Beziehungen, prinzipiell austauschbar. Organisationen werden unabhängig von den einzelnen Mitgliedern durch spezifische Kommunikation, Handlungsanweisungen, vertragliche Verpflichtungen usw. zusammengehalten und immer wieder erneuert, sie sind selbstreferenzielle Systeme.

Die Erwartungshaltung einer Organisation richtet sich – anders, als z.B. zu Zeiten der Leibeigenschaft – nicht an den Menschen als Ganzes, sondern ausschließlich auf die von ihm geforderte und zu erbringende Arbeitsleistung sowie auf Verhaltensnormen, die er in der Organisation einzuhalten hat. Diese Erwartungen sind dem Zweck der Organisation entsprechend formuliert. Dies gilt unabhängig davon, ob es dem einzelnen Mitglied einer Organisation nun gefällt oder nicht. Er ist jederzeit frei, die Organisation zu verlassen. Bleibt er jedoch ihr Mitglied, hat er die an ihn gerichtete Erwartung der Organisation zu erfüllen. Schon ein einziger, sichtbar gewordener Verstoß gegen die kommunizierten Regeln und Erwartungshaltungen eines Unternehmens kann zum Ausschluss führen.

Alle weiteren Aspekte des Menschen, z.B. seine Emotionen, seine Familie, seine Mitgliedschaften in Vereinen usw. sind seine Privatsache. Auf diese Aspekte erhebt die Organisation keinen Anspruch und sie blieben in der Regel unbeobachtet. Eine Person kann Mitglied in verschiedenen Organisationen sein, in keiner davon ist er in seiner Gesamtheit integriert. Umgekehrt sind die Mitglieder einer Organisation dieser auch nur zu dem vereinbarten Teil verpflichtet, der Rest bleibt Privatsache.

Die prägendste Erfahrung mit Organisationen in Friedenszeiten ist die Erfahrung mit Unternehmen in der Arbeitswelt. Die meisten Menschen zwischen Ausbildungs- und Rentenalter verbringen ihre berufliche Tätigkeit in Unternehmen oder Verwaltungen. Sie treten diesen Organisationen freiwillig und gegen Bezahlung bei. Die Organisationen wiederum knüpfen im Gegenzug an die Mitgliedschaft und die Bezahlung bestimmte Erwartungshaltungen hinsichtlich von Leistung und Verhalten.

Die in einer Organisation entstehenden Beziehungen sind also zwangsläufig unterschiedlich zu privaten Beziehungen. Dass sie auch unabhängig vom Zweck der Organisation entstehen und sich vertiefen, ändern nichts an diesem Unterschied.

Beziehungen aus Sicht der Organisation

Kollegialität bietet für Organisationen eine Möglichkeit, Mitgliedschaftsbindung herzustellen. Besteht eine starke Bindung unter Kollegen hat dies für die Organisation häufig den Vorteil, dass eine stark disziplinierende Wirkung auf die einzelnen Mitglieder entsteht: im Team achtet man gegenseitig darauf, dass die Erwartungen der Organisation erfüllt werden. Im Ergebnis wirken sich enge berufliche Beziehungen positiv auf die Produktivität im Team aus. Dies gilt natürlich nur, solange sich das Team nicht in Opposition zur Organisation oder zu einzelnen Führungskräften befindet und dessen Anweisungen sabotiert.

Ein Beispiel für negative Beziehungen sind die sogenannten „Seilschaften“. Ihre Mitglieder verpflichten einander dazu, sich gegenseitig darin zu unterstützen, in wichtige Positionen innerhalb der Organisation aufzusteigen. Seilschaften dienen nicht den Zwecken der Organisation. Im Gegenteil: die Mitglieder der Seilschaft verfolgen eigene Interessen und können als wahrnehmbares informelles System die Unternehmenskultur stark belasten.[3]

Freundschaften, die weit über ein gutes kollegiales Verhältnis hinausgehen, wie z.B. Ehen unter Kollegen, können als Belastung für die Organisation gewertet werden, da sie im sozialen System der Organisation eine Sondergruppe darstellen, deren Bildungskriterien zumindest organisationsfremd sind. Die betroffenen Personen tun gut daran, deutlich zu machen, dass ihre Beziehung der Erwartungshaltung der Organisation an die beiden Partner nicht zuwiderläuft.

Beziehungen in Unternehmen und anderen Organisationen sind also anders zu bewerten, als Beziehungen im privaten Bereich.

Besondere Spielregeln für enge berufliche Beziehungen

Besondere Spielregeln für enge berufliche Beziehungen

Ohne Zweifel sind unterstützende Beziehungen am Arbeitsplatz ein wichtiger Faktor. Wer gute Beziehungen hat, hat mehr Freude im Job und ist dadurch produktiver, was wiederum die Karrierechancen verbessert. Gerade in Berufen, die teilweise gefährlich sein können, wie z.B. bei der Feuerwehr, der Bundeswehr oder der Polizei, sind Freundschaften überproportional häufig vorhanden und von großem Nutzen, denn gegenseitiges Vertrauen hat einen stabilisierenden Charakter und verschafft mehr psychologische Sicherheit.

Aber im beruflichen Umfeld gilt es, auch bei Freundschaften die Spielregeln und Erwartungen der Organisation zu beachten. Arbeitsfähigkeit, Motivation und Standing dürfen – besonders im Konfliktfall – nicht unter einer Freundschaft leiden. Daher ist es sinnvoll, klar zu definieren, welche Themen bis zu welcher Tiefe in einer beruflichen Beziehung kommuniziert werden und wie man in Konfliktsituationen miteinander umgeht.

Im beruflichen Kontext ist jeder weitgehend selbst dafür verantwortlich, die an ihn gestellten Erwartungen zu erfüllen. Tut man dies nicht, ist die Sache entsprechend den Regeln der Organisation zwischen der Person und ihrer Führungskraft zu klären. Als (befreundeter) Kollege hat man diese Möglichkeit faktisch meist nicht und sollte es auch vermeiden, in die Stellvertreterrolle zu treten. Es ist völlig in Ordnung, Verständnis zu zeigen und freundschaftlichen Rat zu geben, aber man sollte die Probleme des Kollegen in seiner Verantwortung lassen sie nicht zum eigenen Problem machen.

„Blutsbrüderschaften“ sind im Job völlig fehl am Platz und sollten dem privaten Bereich vorbehalten bleiben. Wenn z.B. bei Kritik durch den Vorgesetzten Verständnis und Loyalität erwartet wird, obwohl man selbst die Ansicht des Vorgesetzten teilt, wird der Bogen überspannt. Wenn befreundete Kollegen eine „In-Group“ bilden, kann dies auch im normalen Berufsalltag für das weitere kollegiale Umfeld als problematisch empfunden werden.

Berufliche Freundschaften können auch dann zu Problem werden, wenn man sich unterschiedlich schnell auf der Karriereleiter bewegt hat. Die Architektur der Freundschaft kann sich dabei so verändern, dass ein Austauschverhältnis auf Augenhöhe zu einer Beziehung wird, in der einer dem anderen Weisungen erteilen muss, die dieser zu befolgen hat. Dies kann zu großen Konflikten führen, die wiederum nicht nur die Betroffenen, sondern das Umfeld in Mitleidenschaft ziehen.

Ein weiterer Aspekt, der berufliche von privaten Freundschaften unterscheidet, ist die thematische Fokussierung auf beruflichen Themen und Probleme. Zudem können berufliche Freundschaften dazu führen, dass man sich nicht mehr um seine privaten Freundschaften kümmert, weil dazu schlicht Zeit und Energie fehlen.

Schließlich stehen berufliche Freundschaften noch stärker als private Freundschaften unter dem Einfluss äußerer Faktoren: Versetzungen, Kündigungen oder berufliche Umorientierung können leicht zum Ende der Freundschaft führen, weil sich die Freunde aus den Augen verlieren.

Fazit:

  • Berufliche Beziehungen sind eine besondere Art von Beziehung, die unter den Regeln der Organisation stattfindet, der die Betroffenen angehören. Dies ist insbesondere bei Konflikten unbedingt zu beachten.
  • Enge berufliche Beziehungen wirken motivierend, verbessern das Klima im Job und verleihen psychologische Sicherheit.
  • Die eigene Motivation und Leistungsfähigkeit sowie das berufliche Umfeld dürfen jedoch nicht unter engen beruflichen Beziehungen leiden.
  • Enge berufliche Beziehungen bewusst zu vermeiden, ist keine gute Strategie, weil dies sich negativ auf die berufliche Entwicklung auswirken kann.
  • Berufliche Freundschaften können eine gute Ergänzung privater Freundschaften sein, aber sie sollten nicht die einzigen Freundschaften sein, die man pflegt.

Quellen:

[1] Zit: Kühl, Stefan, Organisationen, VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien, Wiesbaden 2011, S. 10

[2] Vgl. Luhmann, Niklas, Soziale Systeme, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1984, S. 226

[3] Vgl: Kühl, Stefan, Organisationen, VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien, Wiesbaden 2011, S. 10

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert