
Die Bezeichnung „organisatorische Resilienz“ wird zunehmend häufig im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Arbeitswelt verwendet. Startet man bei Google eine entsprechende Suche, wird sehr schnell deutlich, dass sich eine Vielzahl von Publikationen und Institutionen mit dem Thema beschäftigt[1]. Der Grund liegt auf der Hand: technischer Fortschritt im Rahmen der Digitalisierung sowie die sich ständig weiter ausdifferenzierenden globalisierten Märkte haben in den letzten zwei Jahrzehnten einen fundamentalen Umwälzungsprozess in vielen Unternehmen in Gang gesetzt.
Die zum Teil disruptiven Entwicklungen in den Unternehmen und in der Unternehmensumwelt scheinen sich gegenseitig zu befeuern. Im Ergebnis haben sich die Halbwertzeit von Aufbau- und Ablauforganisation in den Unternehmen ebenso, wie Produktzyklen bis an die Grenzen der Machbarkeit verkürzt. Diesem Zustand wurde inzwischen die Bezeichnung VUCA-Welt (volatility, uncertainty, complexity und ambiguity) gegeben.
Individuelle und organisationale Resilienz
Die Umwelt der Unternehmen ist also unbeständig, unsicher, komplex und mehrdeutig. Um in dieser Welt bestehen zu können, sind Flexibilität, Anpassungsfähigkeit sowie die Fähigkeit zur schnellen Weiterentwicklung entscheidend wichtig. Verfügen Unternehmen oder Organisationen über solche Fähigkeiten, werden sie immer häufiger als „resilient“ bezeichnet. Organisationale Resilienz betrifft jedoch nicht nur agile Organisationsstrukturen und Prozesse, sondern integriert die innere Haltung der Führungskräfte und Mitarbeiter.
Beim Konzept der „organisationalen Resilienz“ werden also neben rein organisationalen Themen auch Aspekte der individuellen Resilienz integriert und auf Organisationen übertragen. Ob das Konzept der organisationalen Resilienz sich als tragfähig erweisen wird, bleibt abzuwarten, denn noch fehlen schlicht noch die empirischen Befunde.
DIN ISO 22316:2017 Security and resilience – Organizational Resilience – Principles and Attributes
Im Jahr 2017 wurde unter dem Namen „DIN ISO 22316:2017 Security and Resilience – Organizational Resilience – Principles and attributes” von der Internationalen Organisation für Normung ISO eine Norm zu organisationaler Resilienz veröffentlicht, in der Richtlinien für die Entwicklung einer resilienten Organisation beschrieben sind.[2]
„Organisatorische Resilienz ist die Fähigkeit einer Organisation, sich in einem sich verändernden Umfeld zu integrieren und anzupassen, um ihre Ziele zu erreichen und zu überleben und zu gedeihen. Widerstandsfähigere Unternehmen können Bedrohungen und Chancen antizipieren und darauf reagieren, die sich aus plötzlichen oder allmählichen Veränderungen in ihrem internen und externen Kontext ergeben.“
Die Internationale Organisation für Standardisierung ISO hat aus den unzähligen Betrachtungsebenen, Aspekten und Handlungsempfehlungen, die bereits zur organisationalen Resilienz vorliegen, einheitliche Richtlinien erarbeitet und ihre Empfehlungen 2017 in der Norm 22316 veröffentlicht. Darin wurden neun Element genannt, bei denen für die Entwicklung einer resilienten Organisation angesetzt werden kann:
1. Geteilte Vision und Klarheit über den Unternehmenszweck
Gemeinsame Ziele haben eine starke Bindungskraft für eine Organisation. Die organisationale Resilienz wird gestärkt, wenn auf allen Ebenen Klarheit und Einigkeit über die Werte, die Vision und den Zweck des Unternehmens besteht.
2. Internes und externes Umfeld verstehen und beeinflussen
Das Verständnis der internen und externen „Systeme“ in der sich die Organisation bewegt, schafft die Möglichkeiten und das Wissen, um flexibel und wirkungsvoll und strategisch sinnvoll entscheiden und Einfluss nehmen zu können. Die Pflege von Beziehungen zu der Außenwelt und Kooperation mit Organisationen gleicher Gesinnung sind in diesem Zusammenhang wichtige Mittel.
3. Effektive und befähigte Führung
Eine resiliente Organisation pflegt eine Führungs- und Fehlerkultur, die Führung auch in Phasen der Unsicherheit fördert und damit das organisationale Lernen unterstützt. Durch die Verteilung von Führungsaufgaben auf viele Schultern werden unterschiedlichste Fähigkeiten eingebunden.
4. Eine Kultur, die die organisatorische Belastbarkeit unterstützt.
Eine resiliente Organisation braucht gemeinsame resilienzfördernde Überzeugungen und Werte, positive Einstellungen und Verhaltensweisen, die fest in jedem/jeder Einzelnen verankert sind. Deshalb sind entsprechende Werte und -verhaltensweisen zu identifizieren und zu fördern, die die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens verbessern. Vice Versa ist auf Veränderungen der Unternehmenskultur zu reagieren, welche die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens negativ beeinflussen können.
5. Information und Wissen teilen.
Das Wissen in einer resilienten Organisation wird geteilt und allen Mitgliedern zugänglich gemacht. Lernen aus Erfahrung und aus Fehlern wird unterstützt, um die Entwicklung der Organisation gemeinsam voranzutreiben. Durch Wissen wird zudem die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit von Teams und deren Mitgliedern gefördert.
6. Verfügbarkeit von Ressourcen
Eine Organisation sollte an ihren verwundbaren Stellen ständig über ausreichend Ressourcen verfügen, um in Zeiten von Veränderung flexible reagieren zu können. (Ressourcen sind Beschäftigte mit guter Qualifikation in erfolgskritischen Bereichen, Informationen, Anlagen oder Technologien.) Dazu ist es erforderlich die eigenen Ressourcen ständig zu überprüfen und auf zukünftige Bedürfnisse hin anzupassen.
7. Entwicklung und Koordination der Managementbereiche
Um organisationale Resilienz im Unternehmen herzustellen, sollten die einzelnen Managementdisziplinen so koordiniert werden, dass sie je für sich und in ihrer gemeinsamen Wirkung zum Zweck des Unternehmens und zum Schutz dessen, was ihm wichtig ist, beitragen. Dazu ist der Umgang mit den Unwägbarkeiten und Veränderungen des Marktes, der Technik usw. über alle Managementdisziplinen hinweg zu institutionalisieren und zu koordinieren. Die Managementdisziplinen sind so zu designen, dass sie zur Widerstandsfähigkeit und Flexibilität des Unternehmens beitragen.
8. Evaluation und Unterstützung kontinuierlicher Verbesserung.
Zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit des Unternehmens wird seine Leistung kontinuierlich anhand vorgegebener Kriterien überwachet, um aus Erfahrungen zu lernen, sich zu verbessern sowie Chancen erkennen und nutzen zu können. Dazu soll eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung für alle Mitarbeiter eingeführt und gefördert werden.
9. Fähigkeit, Veränderung zu antizipieren und zu managen
Das Unternehmen sollte die Fähigkeit entwickeln und verbessern, seine Abläufe konsequent so anzupassen, dass es seine Ziele und Aufgaben auch unter sich ändernden Umständen erfüllen kann und die Veränderungen am Markt antizipieren und für sich nutzen kann.
Quellen
[1]Bei Eingabe des Begriffs „Organisationale Resilienz“ werden bei Google ca. 17.100 Ergebnisse angezeigt. (Eingabe „Organisationale Resilienz“ (in Anführungszeichen) am 17.03.2019
[2]Vgl. ISO 22316, Security and resilience, Organizational resilience, Principles and attributes, ISO copyright office, Ch. de Blandonnet 8, CP 401, CH-1214 Vernier, Geneva, Switzerland,2017, © ISO 2017, Licensed to Ulrich Pickert Training. (Eigene Übersetzung und zusammenfassende Darstellung der 9 Kriterien der Norm)